Zurück in der Gewerkschaft – 1. Bericht der Brigada „Saïda Menebhi“
Am 25. August, eine Woche vor dem offziellem Brigadebeginn, startete die nun 6. Brigade in Richtung Süden nach Almería um die dortige Gewerkschaft SOC-SAT bei Ihrer Arbeit zu unterstützen. Anders als bei den vorherigen Brigaden machten sich diesmal sechs Brigadist_innen mit dem durch „Crowdfunding“ finanzierten Bus, Saïda, auf den Weg.
Gewerkschaftsbus – Saïda
Bevor der Bus aber in die Hand der Gewerkschaft übergehen konnte musste Saïda noch einen Check des ITV (spanischer TÜV) durchlaufen, ohne den das Fahrzeug nicht angemeldet und eine Versicherung abgeschlossen werden konnte. Da dieser Prozess einige Zeit in Anspruch nimmt, entschieden wir uns eine Woche vor dem offiziellen Brigadebeginn in Almería anzukommen um alle notwendigen Vorkehrungen treffen zu können. Trotz dessen war es uns nicht möglich, bis dato einen Termin beim ITV zu erhalten. Da der Gewerkschaftsbus nur ein bis zu diesem Zeitpunkt gültiges Ausfuhrkennzeichen besaß, verfiel damit auch unsere Versicherung und wir konnten den Bus vorerst nicht weiter nutzen. Mittlerweile haben wir für den 14.09. einen Termin beim ITV.
Ohne Transportmöglichkeit ist es fast unmöglich im gewerkschaftlichen Rahmen zu agieren. Die Gewerkschaftsbüros in der Region Almería sind ca. 50 km voneinander entfernt und die „Acciones Sindicales“ finden häufig im ländlichen Raum statt. Wir waren daher erneut dazu gezwungen zwei Kleinwagen auszuleihen um weiterhin mobil zu bleiben. Das bestätigte uns wieder einmal wie abhängig die Gewerkschaftsarbeit in dieser Region von einem funktionierenden Gewerkschaftsbus ist.
Aus Erfahrungen vergangener Brigaden nach Lateinamerika und um uns gegen Eventualitäten abzusichern haben wir uns dazu entschlossen für die Übergabe des Fahrzeugs an die Gewerkschaft einen Schenkungsvertrag aufzusetzen. Damit wird der Bus zum Beispiel vor einer Pfändung durch den Fiskus abgesichert.
Es gab auch bereits die Idee im großen Stauraum des Busses ein mobiles Rechtsberatungsbüro einzurichten. Damit könnte die Gewerkschaft in Zukunft auch regelmäßig in weiter entfernten Regionen tätig sein, die sie bisher noch nicht erschließen konnten.
Acciones Sindicales
Schon in der ersten Woche standen einige Termine an. Am Mittwoch den 29. August fanden bei den zwei Unternehmen „Primaflor“ und „BioSabor“ „Acciones Sindicales“ statt. Ziel bei den „Acciones Sindicales“ ist es Informationsmaterial zu verteilen, welche die regionalen, arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Beschäftigung von Landarbeiter_innen enthält. Gemeinsam mit Gewerkschaftern der SOC-SAT Granada gingen wir auf das Gelände des zweit größten Exporteurs für Blattsalat “Primarflor”. Im Rahmen dieser Aktionen kam es zu einer ersten Konfliktsituation bei der die anwesenden Vorarbeiter_innen das Verteilen der Flyer versuchten zu unterbinden.
Weiterhin nahmen wir an einem Treffen zwischen der SOC-SAT und mehreren Arbeitern teil, welche in unterschiedlichen Unternehmen beschäftigt sind. Seitens der Arbeiter wurde von massiven Verletzungen der bestehenden Tarifverträge berichtet. Deutlich zu spüren waren die Entschlossenheit sich gegen die herrschenden Verhältnisse aufzulehnen, auf der anderen Seite aber auch die damit einhergehenden existenziellen Ängste. Im Anschluss an die Versammlung versuchten wir uns in den von der Gewerkschaft angebotenen Sprachkurs zu integrieren und die senegalesische Gruppe bestmöglich zu unterstützen. Innerhalb unserer Brigade resultierte daraufhin ein Austausch über die Kapazitäten Sprachkurse zu unterstützen und in welcher Form wir einen sinnvollen Beitrag dazu leisten könnten. Die Idee kam auf, schon in der Vergangenheit in Sprachkursen in Berlin genutztes Material zu verwenden und in den spanischen Kontext einzubetten.
Dienstag zum offiziellen Brigadebeginn starteten wir direkt mit drei „Acciones Sindicales“ bei unterschiedlichen Unternehmen. Darunter auch bei „Bio Campojoyma“ welche aktuell unter Verdacht stehen arbeitsrechtliche Verstöße gegenüber Ihrer Belegschaft zu begehen. Im Anschluss fand ein Treffen zwischen Arbeitern, der SOC-SAT und dem Unternehmen „Primaflor“ statt, bei welchem die prekären Arbeitsbedingungen thematisiert wurden. Leider zeigte sich das Unternehmen wenig kooperativ und wies die meisten Anschuldigungen von sich oder zeichnete ein Bild von Einsichtigkeit und stellte schon begonnene Verbesserung in Aussicht. Die Konsequenz aus diesem Treffen bleibt unter Beobachtung abzuwarten. Am selbigen Abend gab es jedoch auch Grund zur Freude, da die Compañerxs von „Eurosol“ beschlossen hatten einen Betriebsrat zu gründen, um eine gemeinsame Arbeitnehmer_innenvertretung zu schaffen.
Elecciones Sindicales bei Eurosol
Der Arbeitskampf im Unternehmen Eurosol prägte die Brigade „Juan Goytisolo“. Den Monat über begleiteten wir die Arbeiter_innen bei Streiks und unterstützten ihre Forderungen durch Druck auf Zertifizierungsunternehmen, die sich laut Selbstbeschreibung für gerechte Arbeitsbedingungen einsetzen wollten. Der Arbeitskampf wurde letztendlich zugunsten der Arbeiter_innen entschieden, entlassene Arbeiter_innen wieder eingestellt und auf deren Forderungen eingegangen. Damit wurde eine punktuelle Durchsetzung ihrer Interessen erreicht. Doch obwohl sich die Situation Ende letzter Kampagne verbesserte, wurde diesen September eine der Wortführerinnen der organisierten Gruppe, vermutlich als Repressalie, ohne Begründung nicht wieder eingestellt. Die Gewerkschaft ist in diesem Fall bereits vor Gericht um eine rechtmäßige Wiedereinstellung einzuklagen.
Das Ziel der Arbeiter_innen ist es nun eine dauerhafte Vertretung gegenüber der Firma zu etablieren und einen Betriebsrat zu wählen.
Bei dem Treffen am Dienstagabend wurde eine Gruppe von fünf Arbeitern aufgestellt. Nach aktuellem Stand sind bereits 39 Unterschriften gesammelt worden, was bei geschätzten 80 Angestellten schon knapp die benötigte Anzahl an Unterschriften bedeuten würde. Ende dieser Woche wird die Gewerkschaft einen Antrag auf Betriebsratswahlen stellen, um die exakte Anzahl der Beschäftigten festzustellen zu können. Es wird eine interne Weiterbildung zur Betriebsratswahlen von der SAT Granada in Almería organisiert. Hier ist deutlich zu sehen, wie wichtig es ist, dass die Ortsgruppen der SAT in Andalusien zusammenarbeiten und sich unterstützen.
Anzumerken ist, dass aufgrund von internen Differenzen für die Wahl leider nur Männer aufgestellt wurden. Anfang dieser Kampagne hatte sich eine Arbeiterin bei Auseinandersetzungen auf die Seite der Unternehmensleitung gestellt. Die Chefin hatte anderntags gegenüber den Arbeiter_innen klar und deutlich betont, dass sie keinen Betriebsrat aus der Gruppe, der bereits organisierten Arbeiter_innen möchte. Die einzige, die sie aus ihrem Kreis im Betriebsrat akzeptieren würde, wäre die oben erwähnte Arbeiterin. Die Gruppe, durch diesen Vorfall schwer empört, entschied sich keine Frau für die Wahl des Betriebsrats aufzustellen. Die Angst, ähnliche Vorfälle könnten sich auch nach der Wahl des Betriebsrates unter Arbeiterinnen wiederholen, ist zu groß. Eine Analyse die sicherlich zu kurz greift, unsere Solidarität mit den Arbeiter_innen aber nicht mindert.
Investigación – Somos Naqaba
Eine ständige und stets aktuelle Tätigkeit während unserer ersten Woche waren die Recherchen zu unterschiedlichen Unternehmen. Dabei spielten gerade die Biounternehmen „BioSabor“, „Bio Campojoyma“ und „Haciendas Bio“ eine zentrale Rolle. Aber auch andere Unternehem wie „Primaflor“, „Parque Natural“, „Agricola La Misión“ und „Luis Andújar“ rückten aufgrund von diversen Missständen in den Fokus der SOC-SAT. Dabei analysierten wir Beschwerden gegenüber der Arbeitsaufsicht seitens der angestellten Landarbeiter_innen um ein Bild von den arbeitsrechtlichen Verstößen zu bekommen. Auf Basis dessen wurden Informationen zusammengetragen um den direkten Kontakt zu den Zertifikateuren zu suchen und über Missstände aufklären zu können. Unter anderem wird sich diese Arbeit auch bei dem zukünftigen Projekt der „La Via Campesina“, einer Bewegung von Kleinbäuer_innen und Landarbeiter_innen, wiederspiegeln. Das Ziel der Arbeitsgruppe zu Migration und Landarbeit ist es eine Plattform aufzubauen, auf der Informationen zu unterschiedlichen landwirtschaftlich orientierten Unternehmen abrufbar gemacht werden. Im Rahmen der Vorbereitung dazu fanden Orientierungsgespräche statt um mögliche Aufgabenfelder zu definieren und die Möglichkeiten der Partizipation von Interbrigadas e.V. auszuloten.
An unserem ersten gemeinsamen Wochenende machten wir uns auf den Weg nach Granada um dort an Feierlichkeiten der SOC-SAT teilzunehmen. Es wurde gemeinsam mit der Stop Desahucios Granada (PAH) das Verhindern einer Räumung eines Hauses gefeiert und wir machten uns mit weiteren Mitgliedern der SOC-SAT Andalusien bekannt.
Saïda Menebhi
Saïda Menebhi, eine marokkanische Feministin, Gewerkschafterin und Poetin.
Sie war als Studentin der englischen Literatur bereits früh in der nationalen Studentengewerkschaft und der Partei der Unabhängigkeit aktiv und setzte sich unter anderem gegen die Unterdrückung der Frau in der marokkanischen Gesellschaft und für die Selbstbestimmung der Sahrauis in der West-Sahara ein. Während ihrer Tätigkeit als Englischlehrerin in Rabat trat sie der Marokkanischen Arbeitergewerkschaft und der marxistisch-leninistischen Bewegung “Vorwärts” bei.
Wie viele ihrer Mitstreiter_innen in der sogenannten “bleiernen Zeit” zwischen 1970 und 1999 kam sie ins Visier der staatlichen Unterdrückung des König Hassan II. Im Alter von 24 Jahren wurde sie festgenommen und bekam erst nach langer Folter und einem Hungerstreik im Jahr 1977 ein Gerichtsverfahren. Während ihrer Verteidigung im Gerichtssaal wurde sie nicht müde erneut ihre Stimme für die Souveränität der Sahrauis und gegen die Unterdrückung aller Frauen in ganz Marokko zu erheben. Dies brachte ihr zusätzliche Strafen wegen Majästätsbeleidigung ein. Nach ihrer Verurteilung zu mehreren Jahren Haft wegen Gefährdung der staatlichen Sicherheit kam sie unter unmenschlichen Haftbedingungen ins Gefängnis. Ein 34-tägiger Hungerstreik gegen die Isolationshaft für sie und vier ihrer Genoss_innen brachte Saïda Menebhi ans Ende ihrer Kräfte. Sie starb im jungen Alter von 25 Jahren im Krankenhaus in Casablanca.
Bis heute ist Saïda Menebhi in Marokko und der arabischen Welt ein Symbol für den Kampf gegen die Unterdrückung der Frau. Wir waren tief beeindruckt von der hierzulande fast unbekannten Lebensgeschichte dieser kämpferischen Frau und wollen ihren Namen mit dieser Entscheidung würdigen.
Solidarische Grüße aus Almería
Eure Brigada „Saïda Menebhi“