Die Brigade Gerda Taro – “Hasta la Victoria Siembre!”
Bevor wir uns wie angekündigt nach Somonte aufmachten, besuchten wir am 13. August kurzfristig noch den Ort El Coroníl in der Provinz Sevilla. Die landwirtschaftlich geprägte idyllische kleine Stadt mit etwa 5.000 Einwohner*innen befand sich bei unserer Ankunft bereits seit zwei Tagen im Rausch der Feria de San Roque. Dabei handelt es sich um ein jährlich stattfindendes Volksfest in typisch andalusischer Manier: Mit großen Festzelten, Rummel, Flamenco, Tapas und Partymusik. Unser Besuch hatte aber natürlich einen anderen Grund. Die SAT ist in El Coroníl fest verankert und stellt durch ihren politischen Arm – die CUT, Colectivo Unidad de los Trabajadores (Kollektiv der Arbeiterunion) – die aktuelle Bürgermeisterin der Stadt, Maribel Gómez. Hier befindet sich mit der Caseta Obrera „Diamantino García“ ein ansehnliches und wichtiges Zentrum für landesweite Versammlungen der Gewerkschaft. Zur Feria, für die die Gewerkschaft über eine feste bauliche Veranstaltungsanlage mit Bühne, Bar und allem drum und dran verfügt, kamen alle namhaften Gewerkschaftsführer*innen zusammen. So trafen wir unter anderem den Gewerkschaftsgründer Diego Cañamero, die andalusische Parlamentarierin María García und den Sekretär der Provinz Sevilla Pepe Cabello. Wir nutzten die Gelegenheit zu Gesprächen und Interviews über die Geschichte und die ländlichen Strategien der Gewerkschaft. Mehr dazu werdet ihr in unserer kleinen Videodokumentation erfahren.
Am 14. August fuhren wir dann weiter nach Somonte. Die besetzte Finca ist eines der bekanntesten Vorzeigeprojekte für die radikale Arbeit der Gewerkschaft. Das etwa 400ha große Landgut wurde während der Agrarreformen nach der Transición verstaatlicht und lag seither unter Kontrolle der Regionalregierung (Junta Andalucía) brach. Als die Junta, in deren Hand sich etwa 20.000ha solcher ungenutzter Landgüter befanden, die Absicht verkündete die Grundstücke zu Billigpreisen an Immobilienspekulant*innen zu veräußern, beschloss die SAT das Gelände 2012 zu besetzen und für die Bevölkerung nutzbar zu machen. „La tierra es de quién la trabaja“ – „Das Land gehört denen, die es bearbeiten“ ist die Losung, mit der die SAT das Projekt vorantreibt.
Ziel ist es Landlosen eine Möglichkeit zu geben sich in kollektiver Form dort einzubringen, selbst zu versorgen und durch ökologische und nachhaltige Produktion ein lokales Vorzeigeprojekt für alternative Landwirtschaft entstehen zu lassen. Die Regionalregierung, noch immer Eigentümerin der Fläche teilt diese Ambitionen natürlich nicht und versuchte die Finca bereits dreimal räumen zu lassen. Einmal gewaltsam und zweimal ohne Gewaltanwendung im Jahr 2016. Keine 24 Stunden nach der zweiten und fünf Tage nach der Dritten Räumung war die SAT wieder vor Ort und begann das Projekt von Neuem voranzutreiben. Derzeit ist die Räumungsgefahr nicht aus der Welt und jeden Tag morgens und abends konnten wir eine Patrouille der Polizei beobachten, die sich über den Zustand und die Anwesenden informierte. Diese Umstände sind jedoch nicht die einzigen Probleme, die das Projekt erschweren.
Während in Hochzeiten bis zu 20 Personen auf der Finca lebten, trafen wir nur auf zwei Freunde der Gewerkschaft, die hier tapfer die Stellung hielten. Das hatte einerseits natürlich mit dem unerträglich heißen andalusischen August zu tun. Drei Wochen vorher fand hier noch ein Camp der gewerkschaftsnahen Jugendorganisation „Jaleo!“ (siehe unten) statt. Doch auch aufgrund interner Streitigkeiten zwischen den früher hier lebenden Aktivist*innen, fehlenden Ressourcen der Gewerkschaft Materialien und feste Arbeiter*innen zu finanzieren und die permanente Räumungsgefahr hemmen die Entwicklung des Projektes. Ferner ist zu beachten, dass der Westen Andalusiens im Gegensatz zur Region um Almería hauptsächlich aus sehr großen Latifundien besteht und ein gewaltiger Einsatz vonnöten ist, um hier großen Ackerflächen mitten im Nirgendwo zu bestellen. Um dem abzuhelfen, befindet sich die Gewerkschaft gerade in einer Diskussionsphase um verschiedene Strategien der Bewirtschaftung von Somonte.
Möglichkeiten wären einerseits eine Art „fester Belegschaft“ zu rekrutieren, die permanent auf dem Land bleibt und von freiwilligen Brigaden unterstützt wird oder andererseits ein Rotationssystem mit Aktivist*innen aus dem unmittelbaren Umland zu etablieren. Wie schon 2013 werden wir diese Entwicklung weiter verfolgen und alle Interessierten gerne auf dem Laufenden halten. Derzeit finden sich auf der Finca ein Dutzend Hühner, Anpflanzungen von Knoblauch, Artischocken, Oliven, Wassermelonen und ein Selbstversorgungsgarten. Während unseres Aufenthaltes halfen wir die Artischocken zu bewässern, das Hühnergehege zu reinigen und ernteten Knoblauch. Vor allem aber hinterließen wir in gemeinsamer Planung und unter Mithilfe einiger Aktivist*innen der Gewerkschaft ein großes Wandbild an einer der Scheunen, wobei wir den alt bekannten kubanischen Revolutionsaufruf auf die spezifische Situation Somonte anpassten: ¡Hasta la victoria siembre! (Säht bis zum Sieg! – Eigentlich: „¡Hasta la victoria siempre!“ – Für immer bis zum Sieg)
Am 16. August machten wir einen Tagesausflug in das nahegelegene Marinaleda. Die kleine Stadt mit ihren 2.700 Einwohner*innen ist bekannt als gallisches Dorf Andalusiens, ihr Bürgermeister Juan Manuel Sánchez Gordillo als der Robin Hood Andalusiens. Die kleine Gemeinde wird seit den ersten Wahlen nach dem Franquismus 1979 von Sánchez Gordillo regiert und ist bekannt für seine soziale Landnutzungs-, arbeits- und Wohnungspolitik und vieles mehr. Zunächst statteten wir der Bauernkooperative „El Humoso“ einen Besuch ab. Die Kooperative ist ähnlich wie Somonte eine Besetzung, allerdings aus den 1980er Jahren. Das Landgut verfügt über 1.200ha Anbaufläche, auf denen vor allem Oliven (350ha), Paprika, Artischocken, Saubohnen und andere Produkte auch teilweise in Gewächshäusern erzeugt werden. Verwaltet wird das Land von einer Kooperative aus 30 Genossenschaftler*innen, wobei wichtige Entscheidungen in Vollversammlungen mit allen interessierten Erntehelfer*innen und Arbeiter*innen aus Marinaleda getroffen werden.
Das besondere Sozialmodell, für das Marinaleda so berühmt ist, wurde hier entwickelt: Während Spanier*innen in anderen Bereichen erst nach einem Jahr Beschäftigung ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zusteht, können in der Landwirtschaft Beschäftigte bereits nach 35 Arbeitstagen Arbeitslosenhilfe beantragen. Die Kooperative organisiert ihre Produktionszyklen daher so, dass insgesamt ca. 600 Personen pro Jahr ihre Mindestarbeitstage in der Kooperative verrichten können und folglich den Rest des Jahres von staatlicher Sozialhilfe leben können. Dabei arbeiten sie zu einem leicht übertariflichen Tageslohn von 36 € bei sechseinhalb Arbeitsstunden pro Tag. Da die von PSOE regierte Junta diesen staatlich subventionierten Lokalkommunismus nicht zu dulden geneigt ist, erhöht sie ähnlich wie bei Somonte auch hier den Druck zur Privatisierung der von der Kooperative bewirtschafteten Grundstücke. Zwar besteht für die Kooperative die Möglichkeit das Land zu erwerben, doch bevorzugen die Genossenschaftler*innen den Erwerb durch eine Stiftung, um das Projekt nicht durch Streitigkeiten oder persönliche Ambitionen von einzelnen Genossenschaftler*innen zu gefährden. Ob die Junta diese Lösung akzeptiert, wird derzeit verhandelt.
In der Stadt selbst besichtigten wir daraufhin die Verarbeitungs- und Verpackungsanlage der Kooperative. Auch hier gibt es Arbeiter*innenversammlungen und ein Rotationsprinzip, bei dem die Beschäftigten zwischen Verarbeitung und Verwaltung wechseln. Schwierigkeiten bestehen allerdings im Absatz des Olivenöls, der eingelegten Artischocken, Paprikas und Saubohnen. Teilweise wird daher versucht, einige der Produkte und zusätzliche Gemüsewaren im direkten Verkauf in umliegenden Gemeinden abzusetzen. Teilweise muss jedoch auch unetikettierte Ware an Billigvermarkter vertrieben werden, sodass das kämpferische Logo nicht auf jeder der Olivenölflaschen zu sehen ist, die in den Supermärkten stehen. Wir sehen hier eine Möglichkeit durch die Herstellung von Kontakten zu solidarischen Vertriebsnetzwerken in Deutschland eine zusätzliche Absatzmöglichkeit für die Produkte der Kooperative erschließen zu helfen. Mehr dazu werdet ihr auf unserer Seite erfahren.
Weiterhin unternahmen wir noch Ausflüge nach Morón de la Frontera und Sevilla. Morón, eine in der Nähe von El Coroníl gelegene Kleinstadt, in der sich eine wichtige Militärbasis befindet, von der aus us-amerikanische Luftmanöver im mittleren Osten geflogen wurden und werden. Die SOC war und ist hier seit ihrem Anfang sehr stark und berichtete uns von weiteren Kooperativmodellen und Arbeitskämpfen. In Sevilla hingegen sind seit der dortigen Gründung der SAT im Jahr 2007 die meisten jungen Aktivist*innen organisiert. Dort vor allem im Bauwesen, Tourismus, Hotelwesen und der Gastronomie. Auch ist der Verband von Sevilla mit etwa 1.000 Mitgliedern der größte landesweit. Die Strukturen in der Stadt, vor allem die kostenlose Rechtsberatung findet enorme Resonanz. So fanden im vergangenen Jahr ca. 3.000 Konsultationen in den Gewerkschaftsbüros statt. Das lokale Büro der SAT ist auch geschmückt mit Fahnen der Ver.di, anderer Gewerkschaften, Postern mit Chavez und etlichen mehr. Hier konzentriert sich der Austausch mit lokalen, spanischen und internationalen linken Gruppen und Bewegungen.
Viel offensichtlicher als in Almería und den anderen von uns besichtigten Orten ist uns hier die Verknüpfung der gewerkschaftlichen Arbeit mit dem linken Nationalismus der Andalusier*innen vor Augen geführt worden. Auch auf unserer letzten Brigadestation in Benajarafe bei Málaga wurden wir im Austausch mit zwei Aktivist*innen der Jugendorganisation Jaleo mit dieser Frage verstärkt konfrontiert. Jaleo kämpft seit 25 Jahren mit etwa 80 Mitgliedern andalusienweit für die Mobilisierung junger Menschen für die Arbeit der SAT und anderer sozialer Bewegungen (Antizwangsräumungsplattformen, Antidiskriminierungsarbeit, etc.). Der Name der Gruppe, eine Liedform im Flamenco, spielt bereits mit kulturellem Symbolismus auf die regionale Unabhängigsabsicht an.
Die viel weniger bekannte andalusische Unabhängigkeitsbewegung (im Vergleich zu Katalonien und dem Baskenland) stellt eine Reaktion auf die im Franquismus forcierte und heute noch wirkende Unterdrückung regionalistischer Identitäten dar. Neben den Bezügen auf kulturelle Aspekte geht es hierbei vor allem aber um die Gewinnung einer staatsförmigen Souveränität, die besser als der spanische Nationalstaat in der Lage sein soll, die Belange der Bevölkerung einschließlich der zahlreichen Migrant*innen selbstbestimmt zu verwalten. Mit diesen intensiven Erfahrungen beendeten wir am 21. August die Brigade „Gerda Taro“ in Andalusien und freuen uns darauf euch von unserer Reflexion der Erlebnisse und den nun anzugehenden Projekten zu berichten. Bei Interesse meldet euch wie immer bei uns unter info@interbrigadas.org oder kommt gerne zu unseren wöchtenlichen Treffen!