Diskriminierung von Gewerkschaftsmitgliedern bei Eurosol – Bericht 2021
Bei dem Gemüseproduzenten Eurosol kam es in den vergangenen Monaten erneut zu gravierenden Arbeitsrechtsverletzungen, nach dem sich die Situation im Betrieb nach einem erfolgreichen Streik und internationalem Druck im Jahr 2018 deutlich verbessert hatte. Vor allem die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten werden am Arbeitsplatz von der Unternehmensleitung und den Vorarbeitern systematisch diskriminiert, benachteiligt und unter Druck gesetzt. Die Strategie der Geschäftsführung ist offensichtlich. Es wird versucht sich der gewerkschaftlich aktiven Beschäftigten Schritt für Schritt zu entledigen. Dabei werden Beschäftigte aus unterschiedlichen Herkunftsländern gegen einander ausgespielt.
Der von der Gewerkschaft SOC-SAT gegründete Betriebsrat wurde von der Geschäftsführung unrechtmäßig aufgelöst. Aktuell sind noch circa 30 gewerkschaftlich aktive Arbeiterinnen und Arbeiter in den Gewächshäusern von Eurosol tätig. In den vergangenen Monaten wurden 11 gewerkschaftlich organisierte Arbeiterinnen und Arbeiter unter fadenscheinigen Begründungen entlassen. Trauriger und schockierender Höhepunkt: am 8. September nahm sich einer der Entlassenen, im Anschluss an seine Kündigung, das Leben.
1. Vorgeschichte des Konflikts
Im März 2018 begleiteten wir einen intensiven Arbeitskampf bei dem mittelgroßen Gemüseproduzenten Eurosol. Schon im Jahr 2017 erreichten uns einzelne Berichte von Arbeitsrechtsverletzungen aus dem Betrieb. Wie so oft im Vorfeld eines sich anbahnenden kollektiven Konflikts im Plastikmeer von Almeria, waren die Beschäftigten des Betriebs anfangs ängstlich und eingeschüchtert. Einzelne Arbeiter*innen suchten klandestin die Gewerkschaft SOC-SAT auf, um von den Missständen zu berichten. Niemand im Betrieb, schon gar nicht die Vorarbeiter, sollten mitbekommen, dass jemand die Gewerkschaft aufsucht. Als durchsickerte wer heimlich die SOC-SAT kontaktierte, begann der offene Arbeitskampf.
Zu Beginn des Konflikts arbeiteten circa 60 fast ausschließlich osteuropäische und lateinamerikanische Arbeiter*innen in den zentralen Gewächshäusern des Unternehmens, 20 Kilometer östlich von Almeria-Stadt. Die meisten Beschäftigten arbeiten schon über viele Jahre fest bei Eurosol und berichteten, dass sich die Lage in den Gewächshäusern bis 2017 Jahr für Jahr kontinuierlich verschlechterte. Bei vielen wurde die tarifvertraglich geregelte Bonuszahlung für voranschreitende Betriebszugehörigkeit „antiguedad“ und die ebenfalls tarifvertraglich geregelte Transportpauschale „plus de transporte“ nicht mehr gezahlt. Eine Reihe von Arbeiter*innen verfügte nur über temporäre Arbeitsverträge, obwohl sie schon festangestellt hätten sein müssen.
2. Arbeitskampf und Eskalation durch die Unternehmensleitung (2018)
Nachdem bekannt wurde, wer diejenigen waren, die als erstes die Gewerkschaft aufsuchten, wurden eben diese Beschäftigte systematisch schikaniert. Sie mussten schwerere Arbeiten verrichten, wurden am Arbeitsplatz isoliert und von den Vorarbeitern verbal bedrängt. Nachdem immer mehr Arbeiter*innen sich mit denjenigen solidarisierten, die sich der Willkür der Vorarbeiter ausgesetzt sahen, wandte sich die Mehrheit der Belegschaft geschlossen an die SOC-SAT. Diese versuchte zu erst über die außergerichtliche Mediationsbehörde „SERCLA“ auf die Unternehmensleitung einzuwirken und Verbesserungen zu erreichen. Die Leitung des Unternehmens stellte sich jedoch quer, kam ihren Beschäftigten nicht entgegen und der Druck auf die gewerkschaftlich organisierten Kolleginnen und Kollegen nahm weiter zu. Nach drei erfolglosen Mediationsrunden rief die SOC-SAT im März 2018 in den Gewächshäusern von Eurosol zum Streik auf. Wir begleiteten den Demonstrationszug der Streikenden am ersten Warnstreiktag und legten gemeinsam 7 km im strömenden Regen zurück bis wir den Unternehmenssitz in der Provinz Vicar, 20 km westlich von Almeria-Stadt, erreichten. Die Streikenden positionierten sich am Haupteingang des Unternehmens und machten ihrem Unmut in Form von Sprechchören Luft.
Die kraftvolle Demonstration mit circa 70 Teilnehmer*innen am ersten Streiktag hatte ein bitteres Nachspiel. Zwei Gewerkschaftsdeligierte wurden eine Woche nach dem Warnstreik fristlos gekündigt. Angeblich sollen sie die Chefin des Unternehmens auf der Abschlusskundgebung beleidigt haben. Anstatt auf die mit Nachdruck vorgetragenen Anliegen der eigenen Belegschaft einzugehen und den Dialog zu suchen, beschloss die Unternehmensleitung den Konflikt weiter zu eskalieren.
3. Internationaler Druck auf Eurosol
Um uns ein detaillierteres Bild über die Arbeitsbedingungen bei Eurosol zu machen führten wir über 20 Interviews mit Streikenden, die von ihren individuellen Alltags- und Diskriminierungserfahrungen erzählten. Auf der Grundlage dieser Interviews verfassten wir einen Bericht, der die Missstände im Betrieb und den Konfliktverlauf zusammen trug. Gemeinsam mit den Beschäftigten recherchierten wir an welche Supermarktketten Eurosol ihre Produkte liefert und über welche Zertifikate der Gemüseproduzent verfügt. Unseren Bericht verschickten wir an Supermarktketten wie Albert Heijn, Migros, Lidl und Eurogida. Wir kontaktierten die Zertifizierungsunternehmen Global Gap und ANEOR und legten zusammen mit der SOC-SAT Beschwerde bei verschiedenen spanischen Behörden ein. Auch der öffentliche Druck wurde durch weitere Demonstrationen, lokale Presseberichte und über Social Media Kanäle erhöht. Trotz verschiedener Versuche der Unternehmensleitung einzelne Beschäftigte auf ihre Seite zu ziehen, blieb die Mehrheit der Belegschaft geschlossen. Vor allem die Schweizer Supermarktkette Migros, nahm sich dem Fall Eurosol an und drohte dem Unternehmen die gemeinsamen Lieferverträge zu überdenken, Falls der Konflikt nicht gelöst werden würde.
4. Ein Erfolg auf ganzer Linie
Der drohende Verlust von wichtigen Geschäftspartner*innen, der über mehrere Wochen konstante mediale Druck und die Geschlossenheit der Belegschaft im Betrieb führten letztendlich dazu, dass die Unternehmensleitung im April 2018 auf voller Linie zurückruderte. Die zwei entlassenen Delegierten wurden wieder eingestellt, die Zahlung ausstehender Löhne wurde veranlasst, befristete Arbeitsverträge wurden entfristet und den Beschäftigten wurden zwei Busse zur Verfügung gestellt, die sie unentgeltlich zu ihrem Arbeitsplatz brachten. Auch der Umgang mit den Vorarbeitern veränderte sich plötzlich drastisch und war in folgenden zwei Jahren vorrangig durch Kollegialität geprägt. Die Beschäftigten erhielten neue Arbeitskleidung und wurden im Vorfeld informiert wann sie in den Urlaub gehen können, was in den Vorjahren ausblieb. Insgesamt stellte sich Dank der Beharrlichkeit der Beschäftigten ein Erfolg auf voller Linie ein.
Um die erreichten Verbesserungen im Betrieb nachhaltig zu verankern, initiierte die SOC-SAT eine Betriebsratswahl Anfang 2019. Die Wahlen wurden mit einer großen Mehrheit der Stimmen der Streikenden gewonnen. 4 von 5 Betriebsräten wurden von der SOC-SAT gestellt.
5. Auflösung des Betriebsrat und erneute Diskriminierung der Gewerkschaftsmitglieder (2021)
Im Verlauf der Folgejahre wurde leider immer offensichtlicher, dass der Betriebsrat der Geschäftsführung zu einem Dorn im Auge wurde. Ende 2019 beschloss die Unternehmensleitung einen der beiden Busse wegfallen zu lassen. Die Route des verbleibenden Busses vergrößerte sich somit stark, da viele Arbeiter*innen in verschiedenen Gemeinden um Almería-Stadt wohnen. Die tägliche Fahrtzeit vieler Beschäftigter verlängerte sich somit von circa 90 min auf 3-4 Stunden. Protestschreiben des Betriebsrats wurden ignoriert. Jede Eigeninitiative des Betriebsrats wurde unterbunden. So wurden auch geforderte Geschäftsberichte den Betriebsräten nicht zugetragen. Ebenfalls kritisierte der Betriebsrat den übermäßigen Einsatz von Beschäftigten aus Zeitarbeitsfirmen „ETT – empresas de trabajo temporal“. Auf diese Kritik ging das Unternehmen ein, jedoch zum Nachteil der Gesamtbelegschaft. Im Verlauf der letzten beiden Jahre wurde klar, dass die Geschäftsführung mit Kalkül systematisch die Basis, des selbstbewussten Betriebsrats, angreift.
Auf der einen Seite wurden 11, vor allem osteuropäische und lateinamerikanische Arbeiter*innen, die den Betriebsrat unterstützten, im Jahr 2021 entlassen und auf der anderen Seite wurden nur diejenigen Beschäftigten mit befristeten Arbeitsvertrag fest angestellt, die der Geschäftsführung gegenüber loyal eingestimmt sind und sich nicht trauen offen Kritik zu äußern – vor allem Arbeiter*innen aus dem subsaharischen Raum. Die 11 Beschäftigten, die entlassen oder nicht entfristet wurden, konnten teilweise längere Verweildauern im Betrieb aufweisen als ihre Kolleg*innen, die entfristet wurden. Einige von ihnen hätten vor Gericht ziehen können, taten dies jedoch nicht, da sie Abfindungen erhielten.
Ganz besonders tragisch war die Nichtwiederanstellung des aus Litauen stammenden Arbeiters Andrius Jonaiti. Jonaiti war seit 13 Jahren bei Eurosol fest angestellt und beteiligte sich an den Streiks 2018. Er gehörte zu der Gruppe osteuropäischer Arbeiter*innen, die den Betriebsrat unterstützten. 2020 beantragte Jonaiti eine ihm rechtmäßig zustehende einjährige Beurlaubung von einem Jahr. In dieser Zeit verschlechterten sich seine familiären und finanziellen Verhältnisse. Am 9. September 2021 nahm sich Andrius Jonaiti das Leben. Am selben Tag erhielt Jonaiti von seinem Arbeitgeber Eurosol, bei dem er immer noch formal angestellt war, die Nachricht, dass er sich nicht wieder ins Arbeitsgeschehen eingliedern kann, weil es keine freien Stellen gäbe. Genau in diesem Zeitraum wurden jedoch andere Arbeiter*innen mit viel weniger Berufserfahrung in die Festanstellung übernommen.
Die Unternehmensleitung greift in den letzten Monaten verstärkt zu Mitteln, die vielen aus der Zeit vor dem Streik 2018 in Erinnerung geblieben sind. Die Vorarbeiter fingen wieder an gezielt die Gewerkschaftsmitglieder ins Visier zu nehmen. Sie werden verbal angegangen, müssen schwerere Arbeiten verrichten, leisten unbezahlte Überstunden und ihre gesetzlich verpflichtete Pause wird nicht entlohnt. Um sich nicht mit den Beschäftigten aus dem subsaharischen Raum zu solidarisieren, werden die osteuropäischen und lateinamerikanischen Beschäftigten rigoros von ihren Kolleg*innen räumlich getrennt. Systematisch werden Gewerkschaftsmitglieder von der Geschäftsführung benachteiligt, so wurden nur den osteuropäischen und lateinamerikanischen Arbeiter*innen in den Sommermonaten die Arbeitszeit verkürzt, während Kolleginnen und Kollegen anderer Herkunftsländer voll arbeiten durften.
Die Strategie der Unternehmensleitung ist eindeutig: Selbstbewusste und kritische Gewerkschaftsmitglieder sollen zermürbt und aus dem Betrieb gedrängt werden und durch neue loyale, passive Arbeiter*innen ersetzt werden
6. Forderungen der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterinnen und Arbeiter von Eurosol
→ Ende aller diskriminierenden Praktiken von Seiten der Geschäftsführung und Vorarbeitern gegenüber den gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten (auch in Spanien gilt die Koalitionsfreiheit und ist verfassungsrechtlich verankert)
→ Bereitstellung eines weiteren Transportmittels, um die Anfahrtszeit für Beschäftigte zu verringern (die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten aus Osteuropa und Lateinamerika haben einen zwei mal so langen Weg zur Arbeit)
→ Ende der rassistisch motivierten Segregation von Beschäftigten am Arbeitsplatz
→ Auszahlung der gesetzlich verpflichtenden Pausenzeit und Überstunden
→ Wiedereinberufung des 2019 gewählten Betriebsrats