Artikel in der Jungen Welt zum laufenden Streik in den Gewächshäusern
Wir dokumentieren den Artikel aus der Ausgabe vom 10.09.2019, Seite 9 / Kapital & Arbeit///
Streik im Gewächshaus
Arbeitsniederlegung von Agrararbeitern in Andalusien gegen unmenschliche Bedingungen. Gemüseproduzent droht Beschäftigten
Am frühen Montag morgen treffen sich 30 Arbeiter und Arbeiterinnen vor dem Tor einer eingezäunten Gewächshauslandschaft in Almería. Doch heute gehen sie nicht arbeiten, heute wird gestreikt. »Wir streiken schon seit zehn Tagen, doch die Geschäftsleitung macht keinen Schritt auf uns zu«, sagt Farah, eine der Agrararbeiterinnen. Die Gewächshäuser, in denen Farah und ihre Kollegen arbeiten, gehören zum Gemüseproduzenten »Godoy Hortalizas«, der in 25 Länder in Europa exportiert. Spezialisiert ist er auf Paprika – die wir auch hier in Deutschland im Supermarkt kaufen können.
Einige Arbeiter der Firma hatten sich bereits Ende 2018 an die Gewerkschaft »Sindicato Andaluz de Trabajadores» (SAT) gewandt, um gegen die verschiedenen Arbeitsrechtsverstöße vorzugehen. Im Januar kam es dann zum Streik. Die Beschäftigten forderten die Einhaltung des Mindestlohns, der damals noch 5,70 Euro pro Stunde betrug, sie bekamen bis dahin aber nur 4,10 Euro ausgezahlt. Außerdem wurden Pausenzeiten nicht eingehalten, es wurden keine festen Arbeitsverträge vergeben, obwohl dies nach zwei Jahren verpflichtend ist, und die Anfahrt wurde nicht vergütet.
»Nach zwei Streiktagen ist der Unternehmer damals eingeknickt und hat begonnen den Mindestlohn auszuzahlen. Auch bekamen befristete Beschäftigte feste Arbeitsverträge«, erzählt der Gewerkschaftssekretär der SAT. Doch am Ende der Saison ist der Produzent wieder in alte Muster verfallen. Er rief fünf der gewerkschaftsaktiven Beschäftigten nicht zur neuen Arbeitssaison auf, obwohl er rechtlich dazu verpflichtet ist. »Die möchten uns loswerden«, sagt Ahmad, einer der Betroffenen. Außerdem weigere sich der Unternehmer, den neuen Mindestlohn von 6,90 Euro pro Stunde auszuzahlen. »Es gibt keinen Ort, an dem wir essen können. Die Vorarbeiter behandeln uns wie Hunde, und es gibt zu wenig sanitäre Einrichtungen. Wir sollen dafür zwischen die Pflanzen gehen«, erzählt Ahmad aufgebracht.
Einschüchterung und Drohung
Heute ist die Stimmung vor dem Tor gereizt. Einige Minuten zuvor ist ein Vorarbeiter durch das Tor gefahren, vor dem zwei Sicherheitsleute zum Schutz der Firma postiert sind, im Auto hatte er neue Beschäftigte. »Die arbeiten hier nicht, das ist illegal!«, rufen die Streikenden durch ein Megafon. Und damit haben sie recht. Das spanische Streikrecht verbietet ganz klar, während eines Streiks neue Arbeiter einzustellen. »Sie haben keinen Arbeitsvertrag«, betont einer aus der Gruppe.
Wenige Minuten später kommt der zweite Vorarbeiter. Die Streikenden wollen ihn aufhalten. Er wird nervös, streift mit dem Auto einen von ihnen, auf einen anderen fährt er direkt zu. Der Arbeiter rettet sich durch einen Sprung zur Seite, dabei verletzt er sich am Bein. Die Beschäftigten sind schockiert über dieses Vorgehen und erstatten Anzeige bei der Polizei, die kurz danach vorbeikommt.
Doch das ist längst noch nicht alles. Die Geschäftsführung von »Godoy Hortalizas« versucht mit allen Mitteln den Streik zu brechen und schreckt dabei nicht vor Gesetzesbrüchen zurück. Einzelne Arbeiter berichten, dass sie von Vorarbeitern zu Hause besucht und eingeschüchtert wurden, andere haben Kündigungsdrohungen erhalten. Die Streikenden haben mehrere Beschwerden bei der Arbeitsinspektion eingereicht, die »Guardia Civil« (eine spanische Polizeieinheit) war mehrere Male vor Ort, doch gab es keine Reaktionen von seiten der Behörden. Statt dessen wurden immer wieder Unterlagen und Papiere der Streikenden kontrolliert.
Die Situation bei »Godoy Hortalizas« ist beispielhaft für eine ganze Region. Almería im Süden Andalusiens lebt hauptsächlich von der Landwirtschaft. In den letzten 40 Jahren ist hier Europas Hochburg der Treibhausgemüseproduktion entstanden. 35.000 Hektar Fläche sind bedeckt mit Gewächshäusern. Über 100.000 Menschen arbeiten hier in der Landwirtschaft, 90 Prozent davon sind Migranten. In kaum einem Betrieb wird der Mindestlohn bezahlt, es gibt keine Arbeitsplatzsicherheit oder Sozialversicherungen. Viele Menschen arbeiten weit mehr, als die erlaubte Arbeitszeit vorgibt. Die Arbeiter werden schlecht behandelt und diskriminiert. Kaum ein Ort zeigt so klare Ausbeutungsverhältnisse innerhalb Europas wie das Plastikmeer um Almería.
»Wirtschaftswunder«
Die Politik schlägt sich auf die Seite der Unternehmen und erklärt die Region zum Wirtschaftswunder. Kaum jemand berichtet über die Arbeitsverhältnisse in den Gewächshäusern. Zuständige Behörden sind haltlos überfordert und werden ihrer Aufgabe kaum gerecht. Und auch die großen Gewerkschaften wollen sich nicht einmischen. So ist hier eine Art rechtsfreier Raum entstanden. Wenn die Arbeiter die Einhaltung des Gesetzes fordern, werden sie für verrückt erklärt.
»Das Gesetz geht mir am Arsch vorbei!«, ruft ein Unternehmer in einem Video, das im März heimlich aufgenommen und von der Gewerkschaft veröffentlicht wurde. Um das Gesetz zu umgehen, wird bei den Lohnabrechnungen getrickst, ein Netz aus Subunternehmen gesponnen, das kaum noch zu durchblicken ist, und Agrararbeiter gezwungen, Papiere zu unterschreiben, die sie nicht verstehen. Aber auch wenn Arbeitsrechtsverstöße aufgedeckt werden, kommt es nur selten zu Reaktionen, und Gerichtsverhandlungen dauern lange, zu lange für viele Beschäftigte. Also bleibt nur die Möglichkeit, sich zusammenzuschließen, um ihre Rechte einzufordern.
Vor dem Tor der Gewächshauslandschaft werden jetzt Pavillons und Stühle aufgebaut, überall wehen Transparente und Flaggen im Wind. Es gibt Frühstück, süßen Minztee, marokkanische Msemen und Honig. Auch wenn das Geld knapp wird und die Gewerkschaft keine Möglichkeiten hat, Streikgeld zu zahlen, wird weiter gestreikt. »Entweder wir arbeiten alle, oder es arbeitet niemand«, ruft Farah entschlossen über das Tor hinweg.
Die Autorin engagiert sich für den Verein Interbrigadas.https://kurzlink.de/Interbrigadas