1. Brigade Bericht Lucia Sanchez Saornil – Feministische Kämpfe verbinden

25. September 2023|Berichte, Brigaden

Unsere Brigade 2023 ist nach der spanischen anarchistischen Revolutionärin und Dichterin Lucia Sanchez Saornil benannt, die insbesondere für eine starke feministische Perspektive innerhalb des Anarchosyndikalismus kämpfte. 
Saornil wurde am 13. September 1895 in eine verarmte Madrider Arbeiter*innenfamilie geboren und von ihrem verwitweten Vater aufgezogen. Später studierte sie an der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando und arbeitete zudem als Telefonistin bei Telefonica. 1931 beteiligte sie sich hier, trotz vorheriger Entlassung, am Generalstreik im Zuge dessen sie für einige Tage inhaftiert wurde. Zu diesem Zeitpunkt noch Mitglied der Revolutionär Radikalen Sozialistischen Partei, schloss sie sich bald darauf der Confederacion Nacional del Trabajo (CNT) an. Durch ihre Gedichte, Artikel und Geschichten welche sie unter veschiedenen (teils männlichen) Pseudonymen veröffentlichte, in denen sie sowohl ideologisches zur aktuellen politischen Diskussion als auch ihre erotischen und romantischen Beziehungen zu anderen Frauen verarbeitete, erlangte sie bald Bekanntheit innerhalb der anarchosyndikalistischen Bewegung und wurde alsbald Chefredakteurin der Bundeszeitung der CNT.
Im Zuge ihres politischen Werdegangs wandte sich Saornil von den Vorstellungen der vorherrschenden feministischen Bewegung ab. Sie kritisierte die Forderungen des bürgerlichen Feminismus nach gleichberechtigten Arbeitsrechten und die Vormachtsstellung von intelektuellen und burgeoisen Frauen und kämpfte für einen herrschaftskritischen, antikapitalistischen Feminismus von unten. Im April 1936 gründete sie zusammen mit Mercedes Comaposada und Amparo Poch y Gascon die anarchafeministische Organisation Mujeres Libres (Freie Frauen) in der später über 20.000 Frauen organisiert gegen den Faschismus der Franco-Dikatatur kämpften.
Nach dem Sieg des Faschismus lebte Saornil mit ihrer Partnerin im Exil in Paris und Valencia. Hier war sie bis zu ihrem Tod 1970 Teil der anarchafeministischen und antifaschistischen Bewegung.
Lucia Sanchez Saornil steht stellvertretend für feministische Selbstorganisierung im Syndikalismus und für die vielen Frauen, deren Kampf gegen den Faschismus immer wieder verschwiegen und vergessen wird.
Qué el pasado se hunda en la nada.
¡Qué nos importa el ayer!
Queremos escribir de nuevo
la palabra MUJER.
Adelante, mujeres del mundo,
con el puño elevado al azul.
Por rutas ardientes,
¡Adelante,
de cara a la luz!

Die ersten Tage

Wir Brigadist*innen sind von Anfang September bis Ende Oktober in Almeria. Nach intensiven Diskussionen und solidarischer Kritik innerhalb von Interbrigadas, genauso wie mit der lokalen Struktur der SAT, mit der wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten, starten wir die Brigade 2023 mit einer konkreten Perspektive. Wir konzentrieren uns auf die Stärkung migrantischer und feministischer Kämpfe und Organisierung im Kontext von Landarbeit in Almeria. Auch mit Blick auf Lucía Sanchez Saornil, wollen wir Selbstorganisierung und Selbstverwaltung voranbringen und dabei Felder und Problemzusammenhänge in den Blick nehmen, die bisher weniger gesehen wurden. Dabei ist eine Strategie materiell und immateriell Räume zu schaffen und gemeinsam zu gestalten. Selbstbestimmte  Räume der Organisierung, des Austausches, der Wut, der Freude und der sozialen Reproduktion. Essenziell ist für uns dabei die Vernetzung und die Beziehungsarbeit mit Arbeitenden und Aktiven auch über aktuelle Arbeitskämpfe hinaus. Dabei wollen wir uns nicht nur an geltendem Arbeitsrecht abarbeiten (welches sowieso keine guten Lebens-und Arbeitsbedingungen im Interesse der Arbeiter*innen bietet), sondern nachhaltige Organisierung, Verbindungen und strategische Perspektiven aufbauen.
Die ersten Tage waren daher geprägt von der Wiederaufnahme und Neuknüpfung von Kontakten im Austausch mit nicht-organisierten und organisierten Arbeitenden und einer Bestandsaufnahme der aktuellen Kämpfe. Viel zu tun hatten wir aber auch mit dem Aufbau der Struktur im Gewerkschaftsbüro, in dem wir unterkommen. Es wurde aufgeräumt, umgeräumt, Betten aufgebaut und ein riesiger Brigadekalender an der Wand angebracht.

Betriebsratswahl BIOSOL

Vor allem die Betriebsratswahlen im Großunternehmen Biosol haben die ersten Wochen der Brigade gezeichnet. Am 11. September 2023 haben wir gemeinsam mit den drei Gewerkschaften CCOO, UGT und der SOC-SAT Listen mit Delegierten bei der Wahlkommission eingereicht. Die CCOO hat vor allem Verwaltungspersonal (also bessergestellte, unternehmensnahe Arbeitendende) auf ihre Liste gesetzt, die UGT Vorarbeiter*innen und ebenfalls Verwaltungsangestellte. Die SOC-SAT stellte ausschließlich Verpacker*innen, welche die größte Anzahl der Belegschaft und damit auch die Personen mit dem niedrigsten Lohn, den wenigsten Privilegien und meisten Arbeitsrechtsverletzungen darstellen. Nach der Bekanntgabe der Delegierten folgten Aktionstage mit gewerkschaftlichen Aktionen auf dem Unternehmensgelände und Betriebsversammlungen. Hier kamen wir in Austausch mit organisierten und nicht organisierten Arbeiter*innen. Besonders eine Zusammenkunft blieb uns nachhaltig in Erinnerung. Beim Aufstellen der Delegiertenliste der SOC-SAT trafen wir jene Arbeitenden, die sich teilweise schon seit 20 Jahren gegen den repressiven Großkonzern wehren. Die widerständige Energie, der Wille zum Kämpfen, war geradezu greifbar im Raum. Abwechselnd wurde auf Arabisch und Spanisch hin und her diskutiert bis alle 17 Personen ihren Platz auf der Liste gefunden haben.
Auch dieses Jahr war die Wahl durch Repression gegenüber den Arbeiter*innen geprägt. Die Geschäftsleitung verbreitete im Vorfeld der Wahlen Lügen über die SOC-SAT. Die Gewerkschaft wolle das Unternehmen schließen und würde den Angestellten schaden. Außerdem mischte sich das Unternehmen in den Ablauf der Wahlen ein, indem es behauptete, dass die Zeiten für die Wahl am Wahltag bekannt gegeben werde. Der Vorgang wurde gezielt von der Geschäftsleitung manipuliert, um möglichst wenig Arbeiter*innen eine faire Wahl zu ermöglichen. Zur Zeit kommen einige Beschäftigte nicht zur Arbeit, da sie auf Ansage des Unternehmens in unbezahlten Zwangsurlaub geschickt wurden. Dies ist eine gängige Strategie des Unternehmens, um die Organisierung der Arbeiter*innen zu unterbinden.Schon bei den letzten Betriebsratswahl 2019 wurden immer nur einzelne Beschäftigte zum Wählen aufgerufen. Vielen, vor allem ganz neuen Mitarbeitenden, wurde die Wahl komplett verwehrt. Solche und andere illegale Eingriffe in die legitime Gewerkschaftsarbeit im Betrieb sind keine Seltenheit.
Am 21.09 brachen wir dann früh morgens auf, um den Ablauf der Wahlen zu kontrollieren und zu dokumentieren. Während der Vormittag noch relativ ruhig verlief, überschlugen sich die Ereignisse am Nachmittag. Die rassistischen Schikanen der Firma und der CCOO trugen sich weiter. Willkürliche Rechtsauslegung, Nicht-Zulassungen zur Wahl, Beeinflussung kurz vor der Wahl und fehlende Übersetzungen auf arabisch benachteiligten den größten Anteil der Arbeitenden – migrantische und migrantisierte Frauen. Zudem brach eine Person während der Arbeit zusammen und musste vom Krankenwagen abgeholt werden. Auf Sorge der Tochter der Arbeiterin entgegnete die Firma und die übrigen Gewerkschaften nur, dass das ganz normal wäre und häufiger vor komme.
Trotz all diesen Verletzungen der Arbeiter*innenrechte und der Repression gegenüber den Arbeitenden konnte die SOC-SAT vier Delegierte im Betriebsrat erringen. Was mit diesen erkämpft werden kann und muss, wird sich in den nächsten Monaten und Jahren zeigen.
Wir sind zuversichtlich im Angesicht der widerständigen Energie und Kraft der Arbeiter*innen!

Link zum ausführlichen Bericht beim tazBlog:https://blogs.taz.de/finiskleinerlieferservice/2023/09/20/wenn-arbeiterinnen-sich-auflehnen-und-organisieren/

Besuch bei den Jornaleras de Huelva en Lucha

Am 14.09 sind Teile der Brigade nach Huelva aufgebrochen. Auf der fünf-stündigen Fahrt konnten wir beobachten wie sich die Landschaft langsam veränderte. Das Plastikmeer der Gewächshäuser wurde Stück für Stück durch breite Monokultur von Olivenbäumen abgelöst. Vereinzelt waren auch Felder für Mangos, Zitrusfrüchte und Avocados zu sehen. Im näheren Umkreis Huelvas veränderte sich die Landschaft dann nocheinmal. Die großen Erdbeer-, Himbeer- und Blaubeer-Gewächshäuser stehen dort zwischen einem natur-geschützen Pinienwald, der vor einigen Jahren zu großen Teilen einem Großbrand zum Opfer fiel.

Unser Ziel war ein kleines, an Huelva angrenzendes Dorf. Hier trafen wir Ana Pinto um über ihre Arbeit mit den Jornaleras de Huelva en Lucha https://jornalerasenlucha.org/ und ihre Perspektive auf feministische, dekoloniale Organisierung zu sprechen. Angekommen in ihrem Haus, welches auch gleichzeitig das Büro der politischen Organisierung ist, tranken wir zunächst ein Wasser während Ana uns von den Problemen der Arbeiter*innen sowie Anwohner*innen erzählte, die durch den auf Export und Profit ausgelegten, hochspezialisierten Anbau von Roten Früchten ausgelöst werden. Zentrale Punkte waren hier die ökologischen Folgen, der Bodenraub sowie die Entmineralisierung der Erde, Wasserknapptheit und Wasserrationierung. Besonders interessant für uns war auch ihre historische Einordnung  des Industriekomplexes. Besonders Die dörflichen Gemeinschaften waren vor dem industriellen Anbau vornehmlich kleinbäuerlich geprägt. Inzwischen haben große, globale Firmen fast alle landwirtschaftlichen Flächen aufgekauft und die Bevölkerung ist abhängig vom globalen Nahrungsmittelgeschäft. Während sich die Landnutzung durch die globalen Wertschöpfungsketten von Grund auf geändert hat, passten sich (post-) koloniale Ausbeutungsverhältnisse nur den Verhältnissen an. Die Arbeiter*innen der Gewächshäuser sind zum Großteil Frauen, etwa zur Hälfte aus den umliegenen Dörfern, die andere Hälfte sind migrantisch oder migrantisiert. Die meisten aus Nordafrika teilweise auch Osteuropa. Häufig illegalisiert, sind viele dazu gezwungen in Chabolas, ohne fließend Wasser, Müllentsorgung und Strom zu leben. Von Polizei und Anwohner*innen wird das gedultet, schließlich ist die Ausbeutung der Arbeiter*innen Grundlage des lokalen Wohlstandes.

All diese Probleme sind miteinader verwoben und so hat die Organisierung der Jornaleras de Huelva en Lucha als Ziel, die unterschiedlichen Unterdrückungshorizonte miteinander zu verbinden und einen Ort der gemeinsamen Organisierung zu ermöglichen. Eine Zusammenarbeit in Form einer intersindical feminista mit diversen Gruppen reichen vom colectivo de trabajadores africanos über Anwältliche Kollektive wie den abogadas sociedad cooperativa andaluza bis zu den Prostitutas de sevilla, der Kellys Unión Sevilla und Kollektiven von Hausangestellten. Es geht dabei genauso um Transformation von Produktionsbedingungen, Illegalisierung und Wohnraum, wie um mentale Gesundheit, Emotionen und gemeinsame Erfolge feiern. Die Zusammenarbeit läuft dabei natürlich nicht immer konfliktfrei so gab es in der Vergangenheit, insbesondere bei feministischen Debatten, ideologische Differenzen über Sexarbeit und Prostitution. Genau hierin sehen wir aber auch eine entscheidende Stärke der Struktur. Die untschiedlichen, undogmatischen Sichtweisen ermöglichen einen breiteren und somit ganzheitlicheren Kampf gegen die herrschenden Ausbeutungsverhältnisse. Dies zeigt sich sowohl in den Positionen innerhalb der Struktur als auch dem Aufbau und der Finanzierung derer. So werden beispielsweise auch Spenden von Kirchen angenommen oder etablierte Organisierungsmethoden wie Gewerkschaften genutzt.

Filmvorfürhung in El Puche 

Am Abend des 17.09 sind wir aufgebrochen, um im Viertel EL Puche den Film “Frutos de Resistencia” https://www.youtube.com/watch?v=UExsutxxrjI zu zeigen. Einige Tage vorher sind wir Plakatieren gegangen und kamen mit Leuten ins Gespräch, viele Menschen im Viertel haben einen Bezug zur SOC-SAT.

Bevor wir Technik und Stühle aufgebaut haben, wurden wir eingeladen mit einigen Anwohnenden am regelmäßig stattfindenden Bingospiel teil zu nehmen. Nach einigen Runden mit jeweils 20 Cent Einsatz mussten wir feststellen, dass uns die anderen um einiges vorraus wahren – wir haben kein einziges Spiel gewonnen.

Nach dem Aufbau der Technik stellten wir kurz den Film und Interbrigadas vor. Kurz vor Film Beginn zeigten wir noch auf Nachfrage von Jugendlichen das Musikvideo eines Rappers dessen Video in El Puche gedreht wurde (Chiche Nieto – Respeto).
Kinder und Jugendliche sangen mit, schrien die Namen derer, die im Video zu sehen waren. Der ausgelassenen Stimmung folgte gespannte Stille während der Filmvorführung. Einige waren emotional, weinten, lachten, lagen sich gegenseitig in den Armen. Kinder und Jugendliche riefen vereinzelt nach Gerechtigkeit für El Puche. Nach dem Abspann sprachen wir noch mit den Anwohner*innen auf dem Platz über den Film, vergangene Arbeitskämpfe und vorrausgegangene Brigaden. Wehmut mischte sich mit Wut als wir über die Probleme im Viertel sprachen. Den immerwieder ausfallenden Strom, die fehlende Müllentsorgung, die Polizeigewalt – die strukturell erzwungene Verelendung des Viertels.
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