“Gipfel der Völker” (Brüssel)

21. Juni 2015|Berichte

Anlässlich des Gipfeltreffens der Europäischen Union und der Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (Celac) fand am 10. und 11. Juni in Brüssel ein “Gipfel der Völker” beider Kontinente statt. Das Treffen von Basisorganisationen stand unter dem Motto “Aufbau von Alternativen in Lateinamerika und Europa”. Auf Einladung der venezolanischen Botschaft nahm Interbrigadas zusammen mit Dutzenden anderer Solidaritätsorganisationen aus Berlin, Hamburg, Köln, Chemnitz, Aachen und anderen Städten in der deutschen Delegation von 65 Menschen teil.

Am ersten Tag sprachen 27 Intellektuelle und Parlamentarier vor 800 Teilnehmern aus 17 europäischen und fast allen lateinamerikanischen Ländern über die gemeinsamen Probleme beider Kontinente und die Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Es ging um Themen wie die Folgen des Kolonialismus, den Widerstand gegen den Freihandel, den Schutz von Mutter Natur, die lateinamerikanische Integration, die Frage der Menschenrechte, Interventionismus und staatliche Souveränität sowie die Kontrolle über die Medien, die auch am Folgetag noch an Arbeitstischen diskutiert wurden.

Gennaro Caretonuto, ein italienischer Journalist und Historiker, betonte die Vorurteile, die in den Medien gegen Lateinamerika verbreitet werden: “Die Familie Edwards in Chile, der die Tageszeitung El Mercurio gehört, unterstützte den Staatsstreich gegen Präsident Allende […], unterstützte danach die Diktatur […] von Pinochet und war daraufhin einer der stärksten Unterstützer der neoliberalen Regierungen von Chile. […] Was Sie wissen müssen, ist, dass wenn in irgendeiner Zeitung in Europa Informationen über Chile veröffentlicht werden, diese aus El Mercurio entnommen werden, ausschließlich aus El Mercurio!“ Vor diesem Hintergrund formulierten mehrere Teilnehmer als eine der dringlichsten Aufgaben die Medienarbeit. Wir müssten daran arbeiten, so die einhellige Meinung, unsere Positionen, unsere Arbeit noch mehr in die Öffentlichkeit zu tragen, wir bräuchten ein alternatives Netz der Kommunikation und Information, um dem Medienkrieg gegen fortschrittliche Bewegungen und linke Regierungen – wie derzeit besonders gegen die Regierung Maduro – mehr entgegensetzen zu können.

Ines Zuber, Abgeordnete im EU-Parlament für die Kommunistische Partei von Portugal, hielt einen flammenden Appell gegen die Heuchelei der Europäischen Union: Die EU sei als Vereinigung kapitalistischer Interessen keine moralische Autorität und nicht mit der Celac zu vergleichen. Sie fragte: „Woher nimmt die EU, die die demokratisch gewählte Regierung von Griechenland und ihre Entscheidungen nicht respektiert, das Recht, Lateinamerika Lektionen über Demokratie und Menschenrechte zu erteilen? Woher nimmt sie das Recht, wenn sie die Strategien der NATO und ihrer kriegerischen Expansion unterstützt? […] Wenn Sie Flüchtlinge nicht aufnimmt, aus Ländern, in denen sie selbst Kriege mitverursacht […]? Woher nimmt sie das Recht, von Demokratie zu reden?“ Insbesondere die ALBA (Bolivarianische Allianz für Amerika) sei hingegen für die portugiesische und europäische Linke Stärke, Inspiration und Kraftgeber für emanzipatorische Kämpfe.

Abel Prieto, ehemaliger Kulturminister Kubas und nun Berater von Raul Castro betonte: „Die Rechte vereint sich, während wir, die Linke, manchmal dazu neigen, uns zu zersplittern“. Daher rief er dazu auf, eine gemeinsame Resolution zu entwerfen, die alsbald von einer Kommission Intellektueller aus verschiedenen Ländern geschrieben und am Ende des Tages verkündet wurde. Sie bekräftigte die Solidarität mit den ALBA-Ländern und insbesondere mit Venezuela und forderte Respekt vor Organisationen wie der CELAC und vor Lateinamerika und der Karibik als Zone des Friedens und Unterstützung für die Friedensverhandlungen der FARC in Kolumbien. Gleichzeitig verurteilte sie die geheimen Prozesse zur Durchsetzung neoliberaler Freihandelsabkommen (TTIP, TISA), den Medienkrieg gegen progressive Kämpfe in Lateinamerika und Europa sowie die Wirtschaftsblockade gegen Kuba und den Wirtschaftskrieg gegen Venezuela. Auch die Rolle des Erdölriesens Chevron in Ecuador, die Migrationspolitik der USA und EU, die Austeritätspolitik der Troika in der EU, die rassistische Diskriminierung und Ermordung von Afroamerikanern in den USA, die Verschleppung der 43 Studierenden in Mexiko und die aggressive Rolle der NATO im Ukraine-Konflikt wurden aufs Schärfste kritisiert. Jedwede Art von Versuchen der Intervention oder eines Staatsstreich durch die venezolanische und internationale Rechte wurde strikt zurückgewiesen. Ganz konkret wurde die Rücknahme des Dekrets vom US-amerikanischen Präsidenten Obama (das Venezuela als nationale Bedrohung einstuft) gefordert, ebenso wie der Abzug aller US-amerikanischer Militärbasen, die Rückgabe Guantánamos an Kuba, die Entschädigung des kubanischen Volkes für fünf Jahrzehnte der Blockade, die Anerkennung der Rechte Argentiniens über die Falklandinseln, die Gewährung von Unabhängigkeit und Selbstbestimmung gegenüber Haiti und Puerto Rico sowie das Recht auf Meereszugang für Bolivien. Voller Emotion trug Prieto diesen Forderungenkatalog vor, der, wie er sagte, Anliegen aus mehreren Jahrzehnten linker Bewegungen repräsentierte. Begleitet wurde die Verkündung immer wieder durch Sprechchöre und Gesänge der mehreren Hunderten anwesenden Aktivist_innen und Intellektuellen. Prieto beendete die Verlesung mit dem Aufruf: „Lasst uns eine einzige weltweite Bewegung zur Verteidigung des kritischen und emanzipatorischen Denkens schaffen, um der Hegemonie des Kapitals etwas entgegenzusetzen“.

Ein vorläufiger Höhepunkt des Tages war der Protestmarsch durch die Straßen Brüssels, vorbei an den hohen, gläsernen Banken, Versicherungsgebäuden und transnationalen Behörden. Immer wieder hörte man Parolen wie „Alerta, alerta, alerta que camina la espada de Bolívar por América Latina (y Europa)” (Achtung! Das Schwert von Bolívar marschiert durch Lateinamerika (und Europa)), “El pueblo unido jamás será vencido” (Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden) oder “Maduro, Maduro, al yanqui dale duro” (Maduro, gib’s den Yankees!), die einige Passanten dazu brachten, sich zu solidarisieren. Abgeschlossen wurde der Tag mit einem Festakt, der vom venezolanischen „Centro Cultural Latinoamericano Simón Bolívar“ gemeinsam mit der Gruppe „Ali Primera“ aus Weißrussland gestaltet wurde. Den Zusammenhalt der Bewegung spürte man beim kraftvollen, gemeinsamen Singen des Lieds „Comandante Che Guevara“ von Victor Jara.

Als wäre dies nicht genug gewesen, versammelten sich daraufhin noch die Jugendgruppen in einem Saal, um sich zu vernetzen und gemeinsame Strategien für eine internationale Jugendplattform zu entwickeln. Interbrigadas war bei diesem Treffen auch vertreten und konnte mit viel Zuspruch die für Oktober geplante Internationalismus-Konferenz ankündigen, an der sich viele der anwesenden Gruppen aus Brasilien, dem Baskenland, Italien, Spanien, Kuba, Slowenien, Chile, Weißrussland, der Schweiz, Griechenland und anderen Regionen beteiligen wollen. Die Zusammenarbeit mit diesen Gruppen läuft bereits, gerade in diesem Moment werden ein gemeinsames Manifest angefertigt, Skype-Konferenzen verabredet und weitere Pläne geschmiedet. Abel Prieto lag also nicht falsch damit, als er sagte, dass die am Kongress teilnehmenden Jugendlichen ein Beispiel dafür seien, dass die Herrscher dieser Welt es noch nicht geschafft hätten, den „kaltblütigen, kapitalistischen Egoismus“ unter den neuen Generationen zu säen.

Am zweiten Tag wurden viele weitere Diskussionstische gebildet. Unter anderem kamen wir auch mit Abgeordneten von Syriza zusammen und sprachen über die aktuelle Situation in Griechenland und Möglichkeiten der Solidarität. Den Abschluss des Kongresses bildeten die Reden von Aleida Guevara, der Tochter des Che, von Jorge Arreaza, dem Vizepräsidenten Venezuelas, und von Rafael Correa, dem Präsidenten Ecuadors, in einer Basilika. Die Interbrigadistas aus Berlin bekamen leider aufgrund von Problemen bei den Anmeldeformalitäten und der bürokratischen Sicherheitsbestimmungen keinen Zutritt zu der Veranstaltung.

Diesen Beitrag teilen: