La Huelga sigue! Eine Brigade in den Ausnahmezustand – 1. Bericht der Brigade „Marielle Franco“
Am Streikposten
Vor Sonnenaufgang vor dem Plantagentor. Die Warnblinkanlagen unserer Autos tauchen die Gewächshäuser in gelbes, gespenstisches Licht. Dunkle Gestalten bauen Pavillons, Stühle und einen Tisch auf. Die Arbeit verläuft ohne viele Worte,
die Handgriffe sind eingespielt. Kein Wunder, nach drei Wochen Streik. Auf dem Bauzaun, der die Finca vor ihren eigenen Beschäftigten schützen soll, hisst El Mofadal drei grün-weiße andalusische Flaggen, mit dem roten Stern und dem Symbol der SAT in der Mitte. Der Älteste der Arbeiter*innen spricht kaum Spanisch, ist aber immer als erster da, jeden Morgen um sechs.
Seit dem 29. August streiken 34 von 40 Arbeiter*innen zweier Subunternehmen von Godoy Hortalizas, einem Gemüseproduzenten mit Sitz in El Ejido, Region Almería. Die bestreikten Fincas stehen auf der anderen Seite des Plastikmeers von Almería, bei San Isidro, und exportieren ihre Paprika in 25 Länder. Das Geschäft der Godoy-Brüder Felipe und David gedeiht: Sie herrschen über ein verzweigtes Netz aus Subunternehmen, hektarweise neue Gewächshäuser sind geplant. Es ist eine Expansion auf dem Rücken der Arbeiter*innen: Bezahlung weit unter dem Mindestlohn, Diskriminierung von Gewerkschaftsaktiven und allerlei Betrügereien, die wir aus unserer Arbeit in Andalusien bereits hinreichend kennengelernt haben. Im August weigerte sich das Unternehmen dann, die sechs aktivsten Arbeiter*innen trotz Festanstellung („fijo-discontínuo“) zurück zur Arbeit zu rufen. Nach zwei gescheiterten Schlichtungsrunden erklärte die Gewerkschaft den unbefristeten Streik (s.a. hier unser erster Bericht über den Konflikt).
Wie man einen Streik torpediert
Unsere Brigade „Marielle Franco“ ist vor zweieinhalb Wochen gestartet, und es war ein Blitzstart ohne Verschnaufpause. Die Dynamik des Streiks, mit seinen vielen starken und inspirierenden Persönlichkeiten auf der einen und einer extrem repressiven Unternehmensleitung auf der anderen Seite, hat uns von Anfang an mitgerissen. Um fünf stehen wir auf, sodass wir mit El Mofadal und seinen Kolleg*innen den Streikposten aufgebaut haben, wenn die ersten Autos eintreffen: Zunächst ist das die Security, die Godoy extra für den Streik angeheuert hat. Danach kommen die Vorarbeiter, die sich dem Streik nicht anschließen wollten. Doch sie kommen nicht allein: In ihren Autos sitzen Streikbrecher*innen einer externen Zeitarbeitsfirma, „Esquiroles“ genannt. Diese illegale Praxis wendet Godoy an, um den Streikenden ihr elementarstes Druckmittel zu nehmen: ihre Kontrolle über den Fortbestand der Paprikaproduktion im Gewächshaus. Jedoch kommen die Bosse damit ungeschoren davon. Denn die Guardia Civil, immer mal wieder vor Ort, kümmert sich nicht um Arbeitsrecht, das sei nicht ihr Aufgabenbereich. Sie koopiert sogar mit dem Unternehmen, indem sie den reibungslosen Ablauf des illegalen Streikbruchs überwacht. Die Arbeitsinspektion als zuständige Behörde ist maßlos überfordert – die neoliberalen Reformen haben in Spanien deutlich Wirkung gezeigt.
Wer noch nie an den Mechanismen des bürgerlichen Rechtsstaats gezweifelt hat, beginnt damit zwangsläufig angesichts dieser Situation strukturellen Rechtsbruchs und Straflosigkeit, immer zugunsten des Kapitals – und nicht zuletzt deutscher Supermärkte! – und auf Kosten der Arbeiter*innenschaft. Es ist diese Situation, die unserer Brigade ein Wechselbad der Gefühle beschert: zwischen Verzweiflung über unser aller Ohnmacht angesichts des schamlosen Union Bustings – und überschäumender Euphorie, wenn sich im Kampf kleine Geländegewinne verzeichnen lassen. Ein solcher ist zweifelsohne der lange erhoffte Besuch der Arbeitsinspektion am 11. September, die kurzerhand die „Esquiroles“ und den Co-Chef mit Blaulicht abführen lässt. Wir alle brechen in Jubel aus: „Esta batalla la vamos a ganar!“ („Diese Schlacht gewinnen wir!“) Marokkanische, litauische und malische Arbeiter liegen sich in den Armen, alle rufen: „Nativa o extranjera – la misma clase obrera!“ („egal ob einheimisch oder ausländisch, wir gehören zur gleichen Arbeiter*innenklasse!“) Zwei Tage später dagegen Katerstimmung: Als wäre nichts gewesen, passieren neue Streikbrecher*innen unter den wütenden Rufen „Mafia, Mafia!“ das Tor und unser Genosse El Mofadal berichten, im Gebäude der Finca seien weitere Arbeitskräfte einquartiert worden. Co-Chef Felipe Godoy fährt mindestens zehnmal pro Tag mit einem süffisanten Grinsen am Streikposten vorbei und scheut sich nicht, die Streikenden durch Filmen und Fotografieren einzuschüchtern. Die Arbeitsinspektion gelobt erneut zu handeln, eine ganze Woche später warten wir immer noch vergebens.
Parallel zu den Vorkommnissen vor dem Werkstor werden alle paar Tage Verhandlungen mit der Unternehmensleitung anberaumt. Diese finden in der Unternehmensberatung von Godoys Rechtsanwältin statt. Hinter verschlossenen Türen erkennen die Anwälte schamlos an, sich weder um Mindestlohn noch Kündigungsschutz oder Streikrecht zu scheren – alles Verhandlungssache. Sie spielen schmutzig und auf Zeit: Zum einen dauern Verfahren vor den örtlichen Arbeitsgerichten sehr lange, zum anderen reißen die Lohnausfälle des wochenlangen Streiks tiefe Löcher in die Haushaltskassen der Migrant*innen.
Internationale Solidarität und Druck entlang der Wertschöpfungskette
Unter anderem hier kommen wir ins Spiel: Wir verbreiten in der ersten Woche den Spendenaufruf zur Streikkasse über alle unsere Kanäle. Auch dank eurer zahlreichen Unterstützung kann so der Streik entgegen dem extremen Druck vonseiten des Unternehmens weitergeführt werden. Außerdem organisieren wir wichtige Teile der Streik-Infrastruktur. Unser bereits bewährtes „Somos Naqaba“-Betätigungsfeld, entlang der Lieferkette Druck auf uneinsichtige Unternehmen auszuüben, wird mit Hilfe der Brigadistas in Berlin bespielt. Wir stehen dabei vor der Herausforderung, dass die Godoy-Gruppe (im Gegensatz etwa zu BioSabor) nicht auf die Vermarktung einer starken Eigenmarke setzt. Lediglich ein Zwischenhändler in Großbritannien ist bekannt, und der meint am Telefon lapidar, die entlassenen Festangestellten könnten sich doch irgendetwas neues suchen. Trotzdem ist das Unternehmen unter Druck, zu handeln, denn ein Imageverlust in Mitteleuropa würde viel Geld kosten.
Und natürlich lernen wir die Arbeiter*innen am Streikposten in kurzer Zeit sehr gut kennen und schließen sie ins Herz. Da ist Itto, die mit ihrer herzlichen Art und bühnenreifen Schauspieleinlagen für Stimmung sorgt; Abdelhak, um den sich die Gruppe nach seiner Entlassung versammelt und ihm beisteht („Todos somos Abdul“ – „Wir sind alle Abdul!“); oder Pepe, der eines Morgens von einem Vorarbeiter angefahren und verletzt wird, und völlig ohne Polemik in die Kameras der BBC sagt, nach zwölf Jahren in dieser Finca würde er es vorziehen, beim Streik überfahren zu werden, als weiter unter diesen Bedingungen zu arbeiten: „Nos quedamos aquí, si hace falta, hasta la muerte“ – „Wir bleiben hier, wenn es sein muss, bis zum Tod“.
Es sind diese Persönlichkeiten, die uns die Kraft geben, nach nur vier Stunden Schlaf Saïda, den roten Gewerkschaftsbus, durch die Gewächshäuser zu steuern, Fundraising für die Streikkasse und Öffentlichkeitsarbeit (siehe etwa Doros genialer JW-Artikel hier) zu betreiben, unseren Genossen José zu anderen Unternehmen zu begleiten und abends Flyer zu verteilen und Plakate zu kleben. Da es hier noch hochsommerlich warm ist, lassen wir uns natürlich auch Strandbesuche im Naturpark Cabo de Gata nicht entgehen.
Morgen startet Saïda und die Brigade Marielle Franco besonders früh: Um 4:45 holen wir den Gewerkschaftssekretär José ab, um uns noch vor dem Eintreffen der Streikbrecher*innen mit einer Gruppe Arbeiter*innen zu treffen. Der jüngste Verhandlungsstand muss diskutiert werden. Auch nach drei Wochen Ausstand weigert sich das Management, Recht und Gesetz nachzukommen. Gleichzeitig werden die Mittel der ohnehin unzureichenden Streikkasse knapp und nicht alle glauben mehr an einen Sieg in der Auseinandersetzung. Andere sind fest entschlossen, weiter für ihre Rechte zu kämpfen. „La huelga sigue”, der Streik geht weiter. Wenn es sein muss, „hasta la muerte“.