El Puche unido jamás será vencido – 3. Bericht der Brigade Juan Goytisolo
Stromausfall im Barrio. Zwölf Häuserblocks sind in Dunkelheit gehüllt, nur die schwachen Lichter der Notausgangsschilder glimmen. Ein Kurzschluss am Donnerstagabend, der Traforaum brennt aus. Alle sind auf der Straße. Wütend, denn so was passiert hier ständig.
Am nächsten Abend vor dem Rathaus. „Entweder wir machen Druck, oder wir bleiben die ganze Woche ohne Strom“, ruft Nachbarschaftsaktivistin Chiqui ins Megafon. Es ist schließlich kurz vor Ostern. Wir sind verdutzt. Der spanische Katholizismus in Ehren, aber einen ganzen Kiez wegen der Auferstehung des Herrn für eine Woche im Dunkeln zu lassen? Hält keine*r der Bewohner*innen für unwahrscheinlich. Eine unserer Genoss*innen sorgt sich um ihre Eltern. Sie haben Krebs und sind auf elektrische Atemgeräte angewiesen.
Der Puche ist kein Stadtteil wie jeder andere. Ein tagelanger Stromausfall im Centro, wo Touristen und Oberschicht flanieren? Undenkbar. „Uns trennt eine Bahnlinie. Aber wir sind Teil von Almería, keine Außerirdischen“, sagt Chiqui vor dem Rathaus. „Und wir wollen gehört werden!“
Den Stimmen aus dem Puche mehr Gehör zu verschaffen, darunter könnte man die Aktivitäten der Brigade Juan Goytisolo hier zusammenfassen. Viele, die hier leben, arbeiten in den Gewächshäusern, noch mehr sind arbeitslos. Seit letztem Herbst unterstützen wir die Aktivist*innen der Nachbarschaftsinitiative gegen Marginalisierung, Ausgrenzung und die Arroganz der Behörden: Die Stadtverwaltung hat 2015 die einzige Buslinie gestrichen, schon seit Jahren kommt die Müllabfuhr nicht mehr. Deshalb liegt überall am Straßenrand Abfall. Im vergangenen Herbst brachte eine Reihe von Zwangsräumungen das Fass zum Überlaufen. Drei Familien warf die Polizei gewaltsam aus ihren Wohnungen. Ein völlig zerstörtes Erdgeschoss-Apartment steht noch immer als unfreiwilliges Mahnmal am Rande der Siedlung.
„Stop Desahucios“ – „Stoppt die Zwangsräumungen“ lautet daher das erste unserer Grafitti-Wandbilder, die wir gemeinsam mit den Nachbar*innen an Chiquis Haus malen. Sie wohnt an der Plazoleta, dem gefühlten Herzstück der Siedlung. Hier ist jeden Tag was los: Kids ahmen Cristiano Ronaldos Torjubel nach, Reggaeton mischt sich mit marokkanischen Trommeln, man spielt Bingo und trinkt Schwarztee. Mittendrin wir mit ein paar Dosen und Farbeimern, versuchen unsere Verbindung mit dem Puche in Farbe zu pinseln und zu sprühen. Die Kids werden zum Transpi- und Schildermalen für die nächste Demo eingespannt. Rund um die Plazoleta entstehen, in Abstimmung und Mitwirkung der Nachbarschaftsinitiative, Symbole von Veränderung und Widerstand im Puche.
Und dann tauchten plötzlich noch mehr Deutsche im Barrio auf: der Spanischkurs des Mosaik-Gymnasiums aus Oranienburg hatte beschlossen, seine Kursfahrt ins Zeichen der sozialen und Arbeitskämpfe in Almería zu stellen. Da wir auf unseren Klassenfahrten meist nur alte Gebäude fotografiert oder verkatert durch Museen gelatscht waren, waren wir sehr angetan von der Initiative der Oranienburger Lehrer*innen. Dennoch blieben Zweifel: Die Aktion würde viel Zeit und Ressourcen unsererseits beanspruchen, was sollte der genaue, auch politische, Outcome bei uns und der Klasse sein?
Am Ende überwog die Neugier und so stellten wir den 20 Jugendlichen ein Programm zusammen, das einen Einblick in die Arbeitswelt in und um Almería ermöglichen und für die Ungerechtigkeiten in der Peripherie Europas sensibilisieren sollte. Wie sich herausstellte, hatten die Lehrer*innen die Klasse bereits gut auf die Thematik vorbereitet, viele hatten Fragen zu den Stationen notiert. So fragten die Jugendlichen den Zucchinibauern aus Vícar vor seinem Gewächshaus, ob er seinen Arbeiter*innen auch den Mindestlohn zahle (tat er nicht), fragten die Gewerkschafter in unserem Büro, wie sie ihre Arbeit überhaupt finanzierten, und die NGO „Almería Acoge“, warum sie Geflüchtete ausgerechnet auf die Arbeit in der Landwirtschaft vorbereite, wo doch dort so viel Ausbeutung herrsche.
Spannend wurde es auch bei den Vertretern der madrilenischen Zentralregierung (Subdelegación de Gobierno): Die wollten die Schulklasse zunächst mit einer Powerpoint-Präsentation über Geographie, Schädlinge und die Vorzüge der Gewächshauswirtschaft einschläfern und schauten reichlich verblüfft, als die Schüler*innen nach Arbeitsrechtsverletzungen und der SOC-SAT fragten. Zu ersterem sei man jetzt nicht im Detail vorbereitet, aber es gebe doch die Arbeitsinspektion, die einen tollen Job mache, so der Delegierte. Und die SOC-SAT? Die würden sich immer nur auf die Seite der Arbeiter stellen und das Positive gar nicht sehen – Gedankengut aus dem 19. Jahrhundert sei das. „Hä?“, sagt die Schülerin neben mir halblaut. „Welche positiven Seiten? Und ist es nicht die Aufgabe einer Gewerkschaft, die Rechte der Arbeiter zu verteidigen?!“
Ein Teil der Jugendlichen langweilte sich bei den Exkursionen und Treffen natürlich auch schrecklich – bei Sechzehnjährigen ohne gute Spanischkenntnisse wohl kaum zu verhindern. Aber bei der einen oder dem anderen schienen Fragen aufzukommen, Funken überzuspringen. Besonders groß war das Interesse an der Brigade selbst. Einen Monat durch Gewächshäuser tingeln und in einem dunklen Büro ausbeuterische Firmen denunzieren scheint keine ganz standardmäßige Ferienaktivität zu sein. „Wie, ihr bekommt da kein Geld für!?“
Intern diskutierten wir vor allem die Exkursion der Schulklasse in den Puche. Bei einer Klasse aus Deutschland, alles Weiße, noch dazu von einer Privatschule aus dem bürgerlichen Oranienburg galt es, Eindrücke von Elendstourismus zu vermeiden sowie rassistische und klassistische Stereotype zu dekonstruieren. Allzu oft bestärken die Medien das Bild eines konfliktiven, verwahrlosten Barrios und setzen die Bewohner*innen mit Schmutz, Gewalt und Drogenhandel gleich. Wir diskutierten mehrere Aktivitäten kontrovers und entschieden uns, sie zunächst einen Vortrag von Chiqui über die Kämpfe der Nachbarschaftsinitiative hören zu lassen, bei sie der die systematische Marginalisierungspolitik seitens der Behörden erklärte. Im Anschluss nahm sie Chiqui mit auf eine Führung durch das Barrio, bei der erstmal keine Fotos erlaubt waren.
Noch wichtiger als dieser erste Eindruck vom Puche erschien uns der Kontakt zu Gleichaltrigen, deswegen organisierten wir eine Aktivität in der Río Andarax-Oberschule. Nach einem Kennenlern- und Fragestell-Spielchen, bei der endlich alle ihr „Yo me llamo…“ auspacken durften, kamen wir auch auf gesellschaftliche und politische Fragen zu sprechen. Konversation über Medien, Regierung und Ungerechtigkeit – weitere metapolitische Debatten führen die Jugendlichen wohl über die fix ausgetauschten Instagram-Accounts weiter.
Danach ging es ans gemeinsame Wandbildnern: Zunächst sprühten wir alle möglichen Phrasen und Wörter, die wir positiv mit dem Puche verbinden, an die Wände am Eingang der Plazoleta. Danach entstand daraus ein großes „El Puche unido jamás será vencido“ auf weißem Grund (s. Foto). Während sich beim Fußball einige Oranienburger von den dribbelstarken Puche-Kids abziehen ließen, war das Mural in zwei Stunden Gemeinschaftsarbeit perfekt.
Die Klassenfahrt wurde zu einem Erfolg für die Schüler*innen. Auf ihrem Blog schreiben viele, dass sie das Programm zunächst wenig ansprechend fanden, aber letztlich viele Anregungen mitgenommen haben. Manche wollen sogar später mal mit auf Brigade fahren – also beste Nachwuchsarbeit. Unglücklich für uns war, dass aufgrund einer Programmänderung keine Zeit mehr für eine richtige Reflexionsrunde blieb. So konnten wir mit dem Kurs die Eindrücke aus dem Plastikmeer, von den politischen Akteur*innen und vor allem aus dem Puche nicht Revue passieren lassen, Gedanken austauschen und bestimmte Aussagen einordnen. So lesen wir manche Blogeinträge der Schüler*innen mit gemischten Gefühlen; eine wirklich politische Message äußern nur wenige. Sicher ist: Auch wir haben was draus gelernt.
Immerhin vier der 18 Gymnasiast*innen opferten ihren letzten freien Abend in Almería und kamen mit auf die Puche-Demo. Bereits zum sechsten Mal marschierten die Anwohner*innen, geleitet von der Nachbarschaftsinitiative aus der Vorstadt ins Zentrum, um auf die prekäre Situation im Barrio aufmerksam zu machen. Waren es im Dezember noch über 600 Teilnehmer*innen, fanden sich diesmal nur 70 Pucher@s, Brigadist*innen und Unterstützer*innen zusammen – diese waren dafür umso lautstärker. Vorneweg vier Jungs, die wir vom Fußball kannten, und ein Megafon: „Se nota, se siente: El Puche está presente!“ (Man merkt es, man spürt es: Der Puche ist präsent!“) Die Route führte quer durch die Stadt vor die Delegation der Zentralregierung, die Regionalverwaltung Junta de Andalucía und zum Rathaus. Chiqui am Megafon.
Mittlerweile ist es Montagabend. Seit vier Tagen sind die zwölf Häuserblocks nun ohne Strom. Es gibt zwar einen Generator, aber der ist zu schwach – der Strom fällt trotzdem immer wieder aus. Die Befürchtungen der Bewohner*innen, dass sie die Osterwoche bei Kerzenschein verbringen müssen, könnten wahr werden. Unsere Genossin versorgt ihre kranken Eltern mittlerweile mit einem mechanischen Atemgerät. Der Kampf der Menschen des Puche um Anerkennung, Gleichbehandlung und Emanzipation wird noch ein langer sein. Ob er innerhalb der Strukturen des Kapitalismus überhaupt gewonnen werden kann? Bei unserem Abschied aus dem Puche zweifeln wir daran mehr denn je.
Eure Brigade Juan Goytisolo
PS: Selbstverständlich haben wir nicht die letzten Wochen nur mit der Schulklasse und im Puche verbracht. Ganz im Gegenteil: Der Konflikt bei Eurosol ist eskaliert, Arbeiter*innen wurden entlassen, wir haben eine Kampagne lanciert und mit unseren Genoss*innen demonstriert. Außerdem geht es auf eine Stippvisite ins kommunistische Dorf Marinaleda und ein Teil von uns kehrt auf den Cerro Libertad zurück. Doch dazu mehr beim nächsten Mal.